Oktober 2018:

Solidarität weiterhin notwendig!

Bericht vom Besuch in der Sozialen Arztpraxis Kalamata am 23.10.18

Besuch der Sozialpraxis 2018
Besuch der Sozialpraxis 2018

... in den Räumen der Alten Nomarchia. Anwesend: Frau Exakoustidou, behandelnde Ärztin, Dr. Genth, Arzt und Unterstützer der Sozialklinik, Elke Vajen und Joachim Sohns vom Oldenburger Verein zur Förderung der Sozialklinik Kalamata

Neustart in der Nomarchia

Vor dem Ambulatorium steht auf dem Flur eine Reihe von Stühlen, auf denen sich Wartende niederlassen können. Die zwei Räume des Ambulatoriums – Sekretariat und Behandlungszimmer mit einigen wenigen Geräten, z. B. zur EKG-Messung - im Parterre des Amtsgebäudes Alte Nomarchia sind an Werktagen geöffnet und jeweils mit unterschiedlichen Ärzten besetzt. Diese führen kostenlos erste Diagnosen, einfache Behandlungen oder Impfungen durch und/oder verschreiben Rezepte und/oder – was meistens der Fall ist – überweisen die PatientInnen an die mehr als 60 unterstützenden niedergelassenen Ärzte, bei denen kostenlos eine weitergehende Behandlung stattfindet. In der Regel rufen die Hilfesuchenden vorher an und erhalten einen Termin. Kranken, die Medikamente oder den Eigenanteil nicht bezahlen können, werden die notwendigen Medikamente kostenlos überlassen. Oft verfügen die staatlichen Krankenhäuser nicht über die Medikamente, die zur Behandlung notwendig wären.

Medikamentenspenden

Zwei Apotheker prüfen die Spenden. Im Moment fehlt der Sozialen Arztpraxis aber noch ein weiterer Raum zur Lagerung der gespendeten Medikamente, ein zusätzlicher Raum auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs wurde jedoch bereits zugesagt. Dr. Genth erläutert mit einem schrecklichen Beispiel, wie notwendig eine zusätzliche und bei Bedarf kostenlose Behandlungsmöglichkeit sowie Versorgung mit Medikamenten ist: Ein Bekannter von ihm ist vor Kurzem frühzeitig an Krebs gestorben, weil ihm weder die notwendigen Medikamente zur Verfügung standen noch die notwendige Behandlung in staatlichen Krankenhäusern möglich war.

Gegenwärtige Arbeit der Sozialen Arztpraxis

Vor der Einführung der Regelung, die allen faktisch Nichtversicherten, die über eine Sozialversicherungsnummer verfügen, Zugang zu staatlichen Krankenhäusern gewährte, habe es durchschnittlich 60 Behandlungsfälle pro Woche in der Sozialklinik gegeben. Momentan seien es ca. 60 pro Monat. Zusätzlich führt die Soziale Arztpraxis – neben der Vergabe von Medikamenten an Menschen, die sich diese nicht leisten können - kostenlose Impfungen und damit verbundene Untersuchungen durch, insbesondere bei Kindern. Viele Eltern gehen mit ihren Kindern wegen der zu erwartenden Kosten nicht mehr zu Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen, in den Schulen finden keine Impfungen statt.

Zustand des Gesundheitswesens

Die Lage der im Gesundheitswesen Beschäftigten beschrieben die beiden Ärzte als düster: Angestellte verdienten oft nur bis zu 800 € im Monat, bei gleichen Preisen wie in Deutschland oder z. T. sogar höheren Preisen. Bei vielen niedergelassenen Ärzten habe sich das Einkommen auf bis zu einem Drittel reduziert: Angestellte Ärzte bemühen sich wegen des geringen Verdienstes, eine Praxis zu eröffnen, die Konkurrenz sei groß geworden. Soweit irgendwie möglich, versuchen junge sowie hochqualifizierte Ärzte ins Ausland zu gehen. Stellen in Krankenhäusern können deshalb oft nicht besetzt werden. Die Folgen der Mängel im Gesundheitswesen seien dramatisch. Eine signifikante Erhöhung der Zahl der Todesfälle sei zu beklagen, am schlimmsten sei es bei Kindern, bei denen in vielen Fällen keine Vorsorgeuntersuchungen mehr durchgeführt werden. Die Ärzte in den staatlichen Kliniken bemühten sich meistens, möglichst gute Arbeit zu leisten, und es gebe Fälle hervorragender Behandlungen, manchmal sogar besser als in Deutschland. Doch das hänge von den gegebenen Umständen und den Qualifikationen ab – es gebe eben auch Fälle mangelhafter Behandlungen.

Kassen, mangelnde Krankenversicherung, Armut

Die Umschichtung von Zahlungen aus dem Athener Gesundheitsetat in Zahlungsverpflichtungen der Kassen sieht Dr. Genth kritisch. Die Lage der Kassen habe sich nicht gebessert, auch durch den „Zusammenschluss“ unter einem Dachverband nicht. Die Kassen seien nicht leistungsfähig. Wenn man sich an eine Kasse wende, um eine Behandlung vermittelt zu bekommen, dauere das Monate. Das sei auch nicht durch die Möglichkeit besser geworden, sich über Internet an eine Kasse zu wenden. Eine Bekannte berichtet uns später, dass sie als selbständig Arbeitende und Versicherte weiterhin trotz Anspruch keinen Cent von ihrer Kasse erhalte, weil diese über kein Geld mehr verfüge. So ergehe es den meisten Selbständigen. Die 90 % der Arbeitslosen, die keine Unterstützung erhalten, sind sowieso alle ohne Krankenversicherung. Eine Sozialhilfe, die ein Minimum sichert, gibt es in Griechenland nicht. Wer nicht genug zum Leben oder Wohnen hat, muss sich an seine Familie wenden. Allein in Kalamata gebe es nach einer kürzlichen Meldung über 7.000 Arme, erfuhren wir bei unserem Besuch. Um ihnen wenigstens ab und zu etwas zu essen zukommen zu lassen, habe sich eine Initiative gebildet, die zweimal die Woche auf einem bestimmten Platz gespendete Lebensmittel an sie verteile.

„Die Arbeit geht weiter!“

Dr. Genth und Frau Exakoustidou betonen, dass die Strukturen der Sozialen Arztpraxis weiterhin aufrechterhalten werden sollen, weil

- weiterhin Bedarf besteht, insbesondere bei den Menschen, die keine Sozialversicherungsnummer haben und deshalb in staatlichen Krankenhäusern keine Hilfe finden; dies ist oft bei in Griechenland arbeitenden AlbanerInnen und anderen MigrantInnen der Fall sowie bei deren Familien, aber auch bei GriechInnen, die nie in einer versicherten Tätigkeit beschäftigt waren.

- zu erwarten ist, dass Geflüchtete von den Inseln auch nach Kalamata geschickt werden,

- die Zukunft ungewiss ist: Es sei jederzeit möglich, dass Griechenland wieder in eine noch tiefere Krise versinke, Zukunft und Politik der EU seien ungewiss, auch die Entwicklung an den Kapitalmärkten gebe zu Sorgen Anlass, zudem sei es möglich, dass die Türkei wieder ihre Grenzen nach Griechenland öffnet.

Schnell noch ein Foto mit Mitarbeitern der Sozialpraxis und einer Besucherin...

Solidarität ist notwendig

Frau Exakoustidou und Dr. Genth betonen noch einmal, das Ambulatorium in Kalamata solle weiterbetrieben werden. Doch ohne Spenden seien die Untersuchungen, Behandlungen und Medikamentengaben nicht möglich. Zum Teil müssen die benötigten Medikamente in Griechenland gekauft werden, zu kühlende Impfstoffe sowieso. Mit den Worten „Ohne eure Spenden könnte die Arbeit hier nicht weitergeführt werden!“ würdigt Frau Exakoustidou zum Schluss den Wert unserer Solidarität.

Elke und Achim

 

 

 

 

Das Ambulatorium in Kalamata macht weiter

 

Bericht vom Treffen im Ambulatorium in Kalamata am 12.10.17:

 

Anwesend:

die Ärzte der Sozialklinik Dr. Poulopoulos, Dr. Exakoustidou, Dr. Genth,

Aktivistinnen vom Hilfsnetzwerk in der Mani bei Kalamata

Mitglieder des Oldenburger Fördervereins und

mehrere Mitglieder des Förder- und Freundeskreises Elliniko e. V. Hamburg

Eine neue Situation:

 

Es kommen jetzt weniger Patienten zum Ambulatorium

  • aufgrund der neuen Regelung, dass auch Nicht-Versicherte, die eine Sozialversicherungsnummer vorweisen können, Anspruch auf Behandlung in den Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser haben,
  • und weil bis zu 60 Ärzte das Bestreben der Sozialklinik unterstützen und Überwiesene ebenfalls kostenlos behandeln.

 

Das Team der Sozialklinik muss die bestehenden Räume in nächster Zeit verlassen, da nebenan das neue Rathaus entstanden ist und die Stadt Kalamata in den Räumen des Ambulatoriums das Wasserwerk einquartieren will. Doch das Team konnte eine Vertreibung aus den bisherigen Räumen verhindern und hat inzwischen von der stellvertretenden Präsidentin des Verwaltungsbezirks Peloponnes eine Zuweisung von Räumen in der "Alten Nomarchia" im Zentrum Kalamatas erhalten.

 Eingehende Medikamente konnten in letzter Zeit nicht mehr in genügendem Maße im Ambulatorium geprüft und sortiert werden, da aus Krankheitsgründen zu wenig Apotheker im Ambulatorium mitarbeiteten. Nicht verwendete Medikamente wurden an das Netzwerk der Sozialkliniken weitergegeben.

 

Besuch der Sozialklinik im Oktober 2017, von links nach rechts: Elke Vajen, Dr. Joachim Genth, Dr. Poulopoulos, Dr. Exakoustidou

Was jetzt tun?

 

I Das Team will in neuen Räumen, aber mit weniger Ärzteeinsatz weiterarbeiten,

a) weil immer noch Leute Hilfe brauchen, die keine Sozialversicherungsnummer haben oder die Medikamente nicht bezahlen können oder die aus anderen Gründen in staatlichen Kliniken keine (unbezahlte) Hilfe finden.

Zum Beispiel sind immer noch viele Bauersfrauen in der Mani (Region bei Kalamata) ohne Sozialversicherungsnummer. Sie haben nie außerhalb des Hofes gearbeitet. Die Beantragung einer Sozialversicherungsnummer würde sie eine höhere Gebühr kosten.

Das Problem haben auch viele Migrantinnen und Migranten (z. B. Albaner*innen), die nie in einem offiziellen Lohnarbeitsverhältnis gearbeitet haben.

Versicherte wie Nicht-Versicherte müssen verschriebene Medikamente oft vorfinanzieren und fast immer anteilig bezahlen. Viele können sich das nicht leisten.

b) weil es ungewiss ist, wie es mit Griechenland weitergeht, und ob nicht bald wieder großer Bedarf an Hilfe, z. B. für Flüchtlinge, bestehen wird. Mit großer Sorge werden die Bestrebungen der FDP und die Koalitionsverhandlungen in Berlin verfolgt. Mit großer Sorge wird die Entwicklung in der Türkei beobachtet. Da die Zukunft für Griechenland unsicher erscheint und größere Notlagen nicht auszuschließen sind, will das Team die Strukturen auch bei geringerem Bedarf aufrechterhalten.

c) weil noch große Gruppen existieren, die weitere Hilfe brauchen. So startet das Team eine Impfaktion für nicht geimpfte Kinder. Seit fünf Jahren sind die Jahrgänge nicht mehr vollständig durchgeimpft worden.

 

II Das Team will weniger Räume als bisher beanspruchen, weil weniger Behandlungen durchgeführt werden.

 

III Die gespendeten Medikamente werden in Zukunft an zwei Apotheker übergeben, die von der örtlichen Apothekervereinigung bezahlt werden und in zwei Räumen im neuen Rathaus arbeiten. Diese sortieren, prüfen und geben die Medikamente dann an die Patienten aus, die ein Rezept des Ambulatoriums vorlegen.

 

IV Spenden, die vom Ambulatorium nicht verwendet werden können, werden wie bisher an die Verteilungszentrale der Sozialkliniken in Athen weitergegeben.

 

Anwesende berichteten, dass sie in eigener Anschauung erlebt haben, dass in Krankenhäusern keine Ersatzteile für kaputte Geräte, keine Rollstühle, keine Bettlaken, kein Toilettenpapier, keine Pressen, keine Fieberthermometer, keine Medikamente etc. vorhanden sind. Z. B. sollte ein Schnitt in die Haut, ein kleiner chirurgischer Eingriff, ohne Betäubung stattfinden, weil das Krankenhaus über keine Betäubungsmittel verfügte.

Menschen mit Krebsleiden konnten Medikamente nicht bezahlen.

Intensivstationen stehen leer, weil Fachkräfte fehlen.

Es sollten zwar Tausende Ärzte eingestellt werden, aber es gab „Einspruch aus Berlin“. Im Gegenteil wandern Ärzte ins Ausland ab. Assistenzärzte arbeiten für 500 € im Monat.

 

Auf weiteren „general assemblies“ des Ambulatoriums wird entschieden werden, wie im Einzelnen die Arbeit fortgesetzt wird.

Dr. Poulopoulos und Dr. Genth im Gespräch mit Besuchern

 

 

(Den Bericht verfasste Joachim Sohns)

 

 

   
© Verein zur Förderung der Sozialklinik Kalamata/Griechenland e.V.

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